U. Möller: Im Schatten des Swissair Grounding

Cover
Titel
Im Schatten des Swissair Grounding … verschwand die bei ABB fehlgeschlagene Innovation.


Autor(en)
Möller, Uwe
Erschienen
Norderstedt 2009: Books on Demand - BoD
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Willy Schlachter

Der Autor, Physiker und langjähriger ehemaliger Mitarbeiter im Kraftwerksbereich bei BBC und ABB, geht der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass ABB und der spätere Käufer des Kraftwerksbereichs, die französische Alstom SA, durch die Lancierung eines innovativen Produkts, die neue Hochleistungsgasturbine GT 24/26, an den Rand des Abgrunds gerieten. Diese Ereignisse fanden wie im Titel angedeutet – gleichzeitig mit denjenigen um den Untergang der Swissair statt, erregten jedoch weniger öffentliche Aufmerksamkeit als das Ende des nationalen Flaggschiffs. Die glanzvolle und in der Anfangsphase auch erfolgreiche Fusion der beiden Traditionsfirmen, der schwedischen ASEA und der schweizerischen BBC, unter dem Unternehmer des Jahres, Percy Barnevik, mag dazu beigetragen haben. Wie also konnte ein neu formierter und mit sehr viel Dynamik gestarteter internationaler Konzern im Jahr 2001 an den Rand des Bankrotts geraten? Die Beantwortung dieser Frage war der Ausgangspunkt für eine Dissertation des Autors an der Universität Bern, die nun in Buchform vorliegt. Der Text ist wissenschaftlich fundiert und erfordert vom Leser stets volle Aufmerksamkeit.

Uwe Möller stand einerseits als ABB-Mitarbeiter mitten im Geschehen drin, andererseits konnte er sich auf einzigartige Informationsquellen stützen: Interviews mit der Mehrzahl der damaligen Entscheidungsträger, zahlreiche unternehmensinterne Daten und namentlich Protokolle des Verwaltungsrats. Der Autor analysiert das unternehmerische Geschehen um die neue Gasturbine über der Zeitachse und untersucht die Motive und Handlungsweisen der wichtigsten Akteure im damaligen Umfeld Schritt für Schritt. Deren Entscheidungen werden anhand des «Dreiecks der Innovation» bestehend aus Technologie, Qualität und Corporate Governance untersucht, stets mit dem Ziel, Lehren aus dem Geschehen für die Zukunft zu ziehen. Zur Methodik: Der Autor geht von Hypothesen aus und bestätigt oder relativiert sie anhand der Analyse der ihm zugänglichen exklusiven Informationen.

Gemäss dem thematischen, eher historischen Interesse der Universität Bern wird auf die technischen Probleme mit der neuen Gasturbine, die letztlich nur eine Ursache des Desasters waren, nur am Rande eingegangen. Die wichtigsten vom Autor bestätigten Hypothesen, orientiert am Dreieck der Innovation, betreffen folgende Bereiche:

1. Technologie: Der Neuheitsgrad der eingesetzten Technologie und damit die erforderliche Dauer und Kosten der Entwicklung wurden vom Management erheblich unterschätzt. Man glaubte, innert zwei bis drei Jahren gleichsam mit dem Computer (das heisst ohne Versuche) eine völlige Neukonstruktion mit neuen Elementen (unter anderem zweistufige sequentielle Verbrennung) realisieren zu können. Viel zu spät, nach zahlreichen verkauften Maschinen, als die technischen Probleme im Betrieb und damit kostenmässig ins Gewicht fielen, hat man sich zum Bau eines Gasturbinen-Prüfstandes im Massstab 1 zu 1 entschlossen.

2. Qualität: Diese wurde – möglicherweise als BBC-typisch – als gegeben vorausgesetzt. Sie hatte im Management offenbar keinen Förderer.

3. Corporate Governance: Die ABB sah Effizienz bereits durch ihre programmatische Schnelligkeit im Handeln und auch in hoher Kapitalumschlagsrate gegeben. Beim Management war zudem Selbstsicherheit Programm. Sie verhinderte jeden Zweifel. Interne Kritik wurde offenbar zu wenig ernst genommen. Ebenso hatten kritische Artikel zum Gasturbinen-Risiko in der Tagespresse («Tagesanzeiger» im März 1996) – zumindest offiziell – keine nachhaltige Wirkung. Man wollte den Gasturbinen-Marktführer General Electric attackieren und brachte aggressiv ein neues Produkt auf den Markt, das nicht ausreichend erprobt war. Weiter hatte der Verwaltungsrat als Gremium keine wirksame Kontrolle. Offenbar vertraute man der bis dahin sehr erfolgreichen operativen Führung, namentlich dem weltweit respektierten Superstar Percy Barnevik. Schliesslich schliessen sich langfristig orientierter Anlagenbau und kurzfristig orientierter Shareholder Value aus. Dem Anlagenbau fehlten in der kritischen Phase offensichtlich die Fürsprecher. Der Wille zum schnellen Erfolg und kurzfristiges Handeln wurden langfristigen Überlegungen vorgezogen. Personell äusserte sich dies im Verwaltungsrat unter anderem durch das Ausscheiden des langfristig orientierten ehemaligen BBC-Grossaktionärs Stephan Schmidheiny und durch den Eintritt von Martin Ebner als Promotor des Shareholder Value.

Die in den 1990er Jahren noch unerprobte Corporate Governance global tätiger Unternehmen verbunden mit dem sich ausbreitenden kurzfristigen Shareholder-Value-Denken führte zur Trennung der ABB vom langfristig orientierten Anlagenbau. Dasselbe Schicksal widerfuhr dem nach der Fusion zur ABB zunächst als Kerngeschäft deklarierten Bahngeschäft. «Knowledge Company» war das Schlagwort des auf Barnevik folgenden CEO Göran Lindahl. Das Erstaunliche ist, dass laut dem Autor dieser grundlegende Strategie- und Paradigmenwechsel weder öffentlich – und gemäss den ihm vorliegenden Informationen – noch intern diskutiert wurde. Dass weder Kunden noch Mitarbeiter geschädigt wurden, ist eine konsequente Folge des damals noch jungen Prinzips des Shareholder Value. Die Eigentümer standen auch für die Verluste ein. Dies betraf auch die Alstom, die erstaunlicherweise einen wesentlichen Anteil dieser Verluste übernahm und noch vergrösserte. Im Unterschied zur Swissair musste weder der schwedische noch der schweizerische Steuerzahler in die Tasche greifen, wohl aber vorübergehend der französische für Alstom, und zwar entgegen den Wettbewerbsregeln der Europäischen Union. Die Gasturbine 24/26 ist nach aufwändigen Nach- und Weiterentwicklungsarbeiten heute bei Alstom ein erprobtes und am Kraftwerksmarkt erfolgreiches High-Tech-Produkt. ABB fand unter Jürgen Dormanns strategischer und Peter Vosers finanzieller Führung zu nachhaltiger Stärke am Markt zurück. Uwe Möllers Arbeit beleuchtet eine hoch interessante und spannende Phase eines global tätigen Unternehmens im Umbruch. Sie ist eine interessante und neue Einblicke vermittelnde Ergänzung zum Buch von Werner Catrina «Die verratene Vision» und sei den an Unternehmensführung Interessierten bestens zur Lektüre empfohlen.

Zitierweise:
Willy Schlachter: Rezension zu: Uwe Möller: «Im Schatten des Swissair Grounding … verschwand die bei ABB fehlgeschlagene Innovation». Norderstedt, Books on Demand, GmbH, 2009. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 382-384

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 3, 2011, S. 382-384

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